Sexualität im Spannungsfeld von Gesellschaft und Religion: Allegorie der Liebe (Angelo Bronzino, 1545)
Die Ethik der westlichen Gesellschaft ist stark durch den christlichen Glauben geprägt. Seit dem Mittelalter dominierten die katholischen Institutionen und später auch andere christliche Kirchen die öffentliche Meinung zur Sexualität in Westeuropa. Die Freude an der Sexualität wurde weithin als sündhaft angesehen, nur die mit dem Sakrament der christlichen Ehe verbundene Zeugung und Fortpflanzung wurde moralisch befürwortet und gefördert, auch wenn die Praxis anders aussah. Nach einer Phase affirmativer Einstellungen zur Sexualität änderte sich die Haltung im 18. Jahrhundert als Folge der vorherrschenden bürgerlichen und protestantischen Sexualmoral; verschiedene sexuelle Verhaltensweisen galten als "krank": Masturbation wurde als gesundheitsschädlich angesehen, ebenso wie kindliche Sexualität. Mit der fortschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt im 20. Jahrhundert haben seitdem immer mehr sexuelle Aktivitäten und Verhaltensweisen Akzeptanz gefunden. Die Tabuisierung des Sexuellen ist jedoch oft bis heute wirksam: Öffentlich "zelebrierte" sexuelle Tabubrüche, zum Beispiel im Fernsehen, sind hier ebenso ein Indiz wie die oft noch praktizierte Doppelmoral.
Die meisten Menschen, die in westlichen Gesellschaften aufgewachsen sind, können drei moralische "Mindestregeln" für Sex akzeptieren:
Sexuelle Handlungen erfolgen durch gegenseitiges Einverständnis der Sexualpartner, d. h. jeder Partner stimmt diesen Handlungen im vollen Bewusstsein der Folgen und in freier Entscheidung - also ohne Zwang - zu. Außerdem müssen die Sexualpartner ein Mindestalter erreicht haben (oft 14 oder 16 Jahre).
Sexuelle Handlungen sollten weder bei den Partnern noch bei Dritten dauerhafte körperliche oder geistige Schäden verursachen.
Sexuelle Aktivität sollte nur dann Kinder hervorbringen, wenn man in der Lage ist, die volle Verantwortung und die Pflichten, die damit verbunden sind, zu übernehmen.
Normative und kulturelle Unterschiede in der Sexualmoral bestehen hinsichtlich der formalen Bewertung der Ehe, des Geschlechtsverkehrs vor und außerhalb der Ehe (Ehebruch), der Formen des Zusammenlebens (Monogamie, Polygamie, Polyamorie, Polyandrie), der Einstellung zur Prostitution, des Alters der Heiratsfähigkeit, der Zeiten und Ausführungen des Geschlechtsverkehrs usw. Weitgehende soziokulturelle Übereinstimmung besteht dagegen bei der Praxis des Geschlechtsverkehrs nur im privaten Bereich, der Ächtung der Vergewaltigung und dem Inzesttabu.